Hallo,
ja Dieter, es ist so:
Die Gingerbread-Gitarristin Carol MacDonald spielte bereits seit sechs Jahren Gitarre, als sie die anderen Gruppenmitglieder kennenlernte. Diese waren ebenfalls damit beschäftigt gewesen, bis zur Perfektion auf ihren Instrumenten zu üben.
MacDonald wurde in Wilmington/Delaware geboren und begann mit neun Jahren, Ukulele zu spielen. Mit zehn wandte sie sich mehr und mehr der Gitarre zu und spielte in ihrer High School-Zeit in einer Doo WopGruppe namens Tranells sowie in einer Rockband aus Maryland, die am Wochenende im Marinestützpunkt Bainbridge auftrat. Nach ihrem Schulabschluss 1960 bekam sie bei einem verbotenen Besuch eines Nachtclubs erstmals das Angebot, einen Song aufzunehmen: „Ein Mann gab mir seine Karte und sagte: 'Wir möchten dich aufnehmen'. Also sagte ich, okay“, erzählt sie. „Ich war hin- und hergerissen, weil meine Eltern doch gar nicht wussten, dass ich in dem Nachtclub war. Aber dann musste ich es ihnen erzählen, weil die Plattenfirma nämlich in Philadelphia war! Also erzählte ich ihnen schließlich die Wahrheit, weil ich die Aufnahmen wirklich machen wollte.“
Mit der Erlaubnis ihrer Eltern in der Tasche fuhr MacDonald nach Philadelphia und nahm dort ihre erste Platte, „I'm in Love“/“Sam, Sam, Sam, My Rock and Roll Man“ für eine kleinere Plattenfirma auf, bevor das Semester am College anfing. Zwei Jahre später brach sie ihr Studium ab und zog zu einer Tante in Trenton, New Jersey. Nachdem sie nach einem Weg zurück ins Musikgeschäft gesucht hatte, bot sich ihr 1963 die Antwort in Form einer Einladung. „Ich lernte einen Typ kennen, der zu mir sagte: 'Du willst mal nach New York? Ich nehme dich mit in den Club im Village*, du wirst staunen“, erinnert sie sich. „Ich war so naiv, dass ich nicht mal wusste, was 'das Village' war. Dieses Gespräch fand nachts um zwölf statt, und ich sagte: 'Hat jetzt nicht alles zu?' Er sagte: 'Nein, die haben bis vier Uhr morgens auf!' Also nahm er mich mit in diesen spitzenmäßigen Club, das Page Three. Ich ging mit ihm rein, und wir setzten uns hin, und ich schaute mir das spitzenmäßigste Jazz Trio an, das ich je im Leben gehört hatte, und ich flippte echt aus. Ich sagte: 'Mein Gott, ist das toll hier!'“
* Mit „Village„ ist hier Greenwich Village, der südliche Teil Manhattans, gemeint. In diesem Viertel lebten und arbeiteten vor allem in den sechziger Jahren viele Songschreiberinnen und Rockgruppen, die abseits vom Establishment nach freien Entfaltungsmöglichkeiten suchten.
Nach ein paar Drinks war MacDonald soweit, dass sie selbst auf die Bühne wollte. „Ich sagte zum Ansager: 'Ich möchte singen', und er sagte: 'So so', in einem was-willst-du-denn-hier Ton“, erzählt sie. „Und ich sagte: 'Ja, ich will wirklich da rauf.' Ich hatte allen Mut der Welt. Ich hatte keine Ahnung, was ich da machte, ich sagte einfach nur: 'Lass mich da rauf, ich will singen.'“ Ihr Mut brachte ihr ein Wochenendengagement im Club ein, bei dem sie zehn Dollar pro Abend verdiente und neben Tiny Tim auftrat. „Er verdiente acht Dollar pro Abend, also wurde ich ziemlich gut bezahlt!“ erzählt MacDonald. „Und wir mussten den ganzen Abend im Club sitzen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich eine Art Barmädchen war. Sie sagten mir, zu wem ich mich setzen und etwas trinken sollte - ich fand das toll, weil ich umsonst trinken konnte! Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich für den Club Getränke verkaufte! Ich war sehr, sehr naiv.“
Kurze Zeit später lernte MacDonald Goldie and the Gingerbreads kennen, die eigens ins Page Three gekommen waren, um sie zu fragen, ob sie bei ihnen mitmachen wollte. „Der Ansager sagte: 'Da hinten ist eine Mädchenband, die gerade von einer Tour kommt. Die wollen mit dir reden.' Und ich dachte: 'Mädchenband? Das ist interessant, das muss ich mir ansehen!'“ erzählt sie. „Also ging ich nach hinten und sah ein paar Frauen, die ziemlich abgerissen aussahen, weil sie nämlich buchstäblich in diesem Moment von einer Tour gekommen waren. Sie hatten von mir gehört und fragten mich, ob ich in ihrer Band Gitarre spielen wollte, und ich sagte: 'Nein, nein, nein, ich glaube nicht; ich bin wirklich glücklich mit meinem Job hier.' Sie sahen so abgerissen und unheimlich aus ... wir fanden das Ganze später ziemlich lustig.“
Noch unerfreulicher als die "abgerissene und unheimliche" Erscheinung der Gingerbreads war MacDonalds Bekanntschaft mit der harten Realität der Musikindustrie, die sie über ihren ersten Manager, Milton Ross, machte. „Als ich ihn kennenlernte, war er einer der widerlichsten Männer, die ich je getroffen hatte“, erinnert sie sich.
„Er war wirklich ekelhaft. Jedes zweite Wort aus seinem Mund war 'fuck'. Ich konnte es einfach nicht glauben. Aber so war ein typischer Manager aus New York nun mal - damals! Heute sind sie ganz anders. Ich sage das, weil ich jetzt selbst dazugehöre! Er wollte mir unbedingt die etwas schäbigere Seite der MusikIndustrie zeigen. Heute machen sie ihre Plattenverträge mit Hilfe von Drogen ... damals war es Sex. Sie besorgten den Leuten, die das Sagen hatten, Mädchen. Es war alles ziemlich merkwürdig - so kamen damals die Plattenverträge zustande, ich schwör's. In den Sechzigern bekam man sein Geld geklaut, weil man naiv war. In den Siebzigern bekam man es geklaut, weil man stoned war. Aber das Geld wurde trotzdem geklaut! Ehrlich! Und ich habe einfach weitergesungen. Alles, was ich im Kopf hatte, war: Ich will von all dem nichts wissen. Ich wollte einfach nur schreiben.“
Ihr Plattenvertrag mit Atlantic machte MacDonald auch nicht glücklich, da sie sich gegen die Manipulationsversuche der Firma sträubte. „Sie wollten eine Lesley Gore aus mir machen“, erzählt sie. „Meine erste Platte, 'Jimmy Boy', war in diesem Stil. Also drückten sie mir dieses Image auf, worüber ich gar nicht glücklich war. Erstens sollte ich nicht Gitarre spielen und zweitens nicht meine eigenen Songs singen. Außerdem änderten sie meinen Namen - MacDonald gefiel ihnen nicht, also hieß ich nun Carol Shaw.“
Auch der gute Absatz ihrer Platte war kein großer Trost, aber kurz nachdem sie ihren Plattenvertrag bekommen hatte, traf sie Goldie and the Gingerbreads wieder - und diesmal gefielen sie ihr besser. „Wir gingen ins Wagon Wheel in der 45. Straße“, erinnert sie sich. „Und da sehe ich die 'Frauenband Goldie and the Gingerbreads'. Also ging ich rein und sah die Mädels auf der Bühne, und es haute mich total um. Ich stand nur da und bekam den Mund nicht mehr zu. Als sie Pause hatten, lief ich hin und sagte: 'Hört mal, kennt ihr mich noch? Ihr habt mich gefragt, ob ich bei euch spielen will - ihr habt doch keine Gitarre, braucht ihr noch eine Gitarristin?' Sie sagten: 'Ja, willst du raufkommen und mitspielen?' Also suchten wir einen Song aus, und ich spielte mit, als ob ich schon immer dazugehört hätte. Ich war wie das fehlende Stück in einem Puzzlespiel. Und dann sah Goldie Margo an, und Margo sah Ginger an, und sie sahen mich an, und ich lächelte. Ich hatte mich auf der Bühne noch nie so wohl gefühlt. Ich musste einfach mitmachen, basta. Ich fing an, mit ihnen zu arbeiten.“
Und obwohl MacDonald zugibt, dass die Gruppe im Musikgeschäft als "Novum" galt, waren die Bandmitglieder selbst völlig verblüfft. „Wir hielten nichts davon“, erzählt sie. „Wir hatten mehr Auftritte, weil sie uns ausnahmen wie die Weihnachtsgänse. Mädchenband! Das versprach doch immer eine tolle Show zu werden. Titten und Ärsche inklusive. Uns war das egal. Wir waren glücklich, weil wir wussten, dass wir spielen konnten, und die meisten Männerbands total umhauten. Die Jungs konnten es einfach nicht glauben. Am Anfang lachten sie immer, und dann gingen sie heulend wieder raus.“ Als Gag trat die Gruppe manchmal absichtlich so auf, wie es die Clubbesitzer von "Mädchenbands" erwarteten, nur um später den Spieß umzudrehen. So erinnert sich Genya Ravan 1990 in einer Diskussionsrunde beim New Music Seminar in New York: „Wir kamen mit all unseren Instrumenten in einen Club, und man konnte dem Besitzer am Gesicht ablesen, was er dachte: 'Mein Gott, diese Miezen? Die sollen spielen können? Die wollen wirklich wissen, wie man spielt?' Wir bauten auf und machten Soundcheck und spielten dann total falsch, und ich sang den falschen Text dazu. Und der Typ kaute auf seiner Zigarre und meinte nur: 'Oh, mein Gott, mein Gott, mein Gott!' Und als wir dann soweit waren und vorzählten, waren wir schon total gut drauf. Wir konnten sehen, wie dem Typ die Zigarre aus dem Mund fiel und er einen Herzanfall bekam ... Das machte uns Spass.“
Gruß
Heino