Hallo,
der „arme“ Jack Scott muss hier herhalten für eine Diskussion „Elvis oder Jack Scott“, die sich zunächst hinter den Kulissen zwischen einigen Sammler entwickelt hat und nun ansatzweise hier im Forum angekommen ist.
Die Diskussion wird durch einen Rahmen gebildet, der durch den jeweiligen individuellen Geschmack festgesetzt ist. So könnte es auch heißen „Elvis oder Gene Vincent“ oder „Gene Vincent oder Jack Scott“. Fest steht, dass Gerd Millers Bande auf Jack Scott stand und ihn zum Ende der 50er zu ihren Favoriten erklärt hat.
Hinter der Diskussion verbirgt sich im Grunde aber auch etwas ganz anderes:
Rock’n’Roll in Deutschland/Österreich
Was vor vielen Jahrzehnten über den Atlantik stürmte, schlug wie ein Komet in die heile deutschsprachige Schlagerwelt ein. Die Erschütterungen ließen sich sogar hinter dem Eisernen Vorhang feststellen. Mit Wucht brachte Bill Haley den Rock’n‘Roll in Wohnstuben, deren Musiktruhen bislang von Willy Schneider, Vico Torriani und Caterina Valente beherrscht wurden. Schon im Februar 1955 stellte die Hamburger Polydor in einem Prospekt unter der Überschrift „Internationale Tanzmusik und Jazz“ die Singles “Shake, And Roll“ und “Rock Around The Clock“ mit einem Foto von Bill Haley and The Comets vor. Bislang war Louis Armstrong der bekannteste US-Import der Firma gewesen.
Bereits ein Jahr später verkündete sie: „Der Schlager 'Rock Around The Clock' scheint alle Rekorde zu brechen.“ Von Elvis Presley hatte zu dieser Zeit kaum jemand in der Bundesrepublik gehört (sieh‘ mal einer an!). Die Verkörperung des Rock’n‘Roll war damals Bill Haley, und in Deutschland sollte er für immer der Botschafter dieser Musik bleiben.
„Neunzehnhundertfünfundfünfzig mit “Rock Around The Clock“ wurde er der erste Boss des Rock“, heißt es historisch korrekt in Ted Herolds Song “Bill Haley“, denn „in den frühen Fünfzigern, da war noch nicht viel los. Perry Como, Doris Day und Sinatra war‘n ganz groß.“ Größer noch waren Peter Alexander und Caterina Valente. „Und dann kam Bill Haley... Hymne einer neuen Zeit.“
1981, als diese nostalgische Rückschau von der Teldec veröffentlicht wurde, war der Sänger mit der "Schmalzlocke" gerade gestorben. „Ein trauriger Zufall“ sagt Ulf Krüger, der für das Stück über Bill Haley und die Produktion der Ted-Herold-Platte verantwortlich war. Er hatte gemeinsam mit Django Seelenmeyer eine LP zum Comeback von Herold aufgenommen und „da passte dieses Lied über den Zeitgeist der 50 er einfach gut.“
Wer den Zeitgeist der Adenauer-Jahre verstehen will, kommt an Bill Haley nicht vorbei, vor allem aber nicht an der Reaktion auf den "Rock’n‘Roll-Vater" ('Bild'), der empörten Ablehnung der einen und der stürmischen Begeisterung der anderen. „Die Jugend schlug Krawall“, sang Ted Herold, „Aggression und Frustration kochten überall.“
Herold, selber ein Kind der fünfziger Jahre, hatte den Umbruch hautnah miterlebt. Er erinnert sich „Haley hatte die Hymne für eine neue Zeit angestimmt. Er war der erste Boss des Rock und der Zündfunke für meine Liebe zur Rock’n‘Roll-Musik.“
Die Erinnerungen anderer haben eher mit den Krawallen zu tun. Konzertveranstalter Kurt Collien, der Bill Haley 1958 nach Hamburg und Berlin geholt hatte: „Berlin war besonders schlimm: Über 2000 Stühle, ein Steinway-Flügel und die Beleuchtung gingen kaputt - 80 000 Mark Schaden.“
Damit sind wir nun zu einem speziellen Thema gekommen, dem Rock’n’Roll in Deutschland/Österreich. Wann und in welcher Weise tauchte der Rock’n’Roll zum ersten Mal in Deutschland auf?
Das Medium des frühen Rock’n’Roll war die Schallplatte, insbesondere die Single aus Vinyl – sicherlich nicht in diesen frühen Tagen der Rundfunk. Obwohl die geschäftlichen Verbindungen zwischen der deutschen und der amerikanischen Plattenindustrie gut waren, kamen Platten aus den USA trotzdem nur spärlich nach Deutschland/Österreich. Eine Platte, an der man beispielhaft nachvollziehen kann, wie der Rock’n’Roll nach Deutschland kam, war “Rock Around The Clock“ von Bill Haley. Sie kam 1955 sowohl als Schellackplatte als auch gleichzeitig als Vinyl-Single unter dem Brunswick-Label der Deutschen Grammophon heraus und fand zunächst keine Beachtung. Der Text war ja auch nicht weiter aufregend, er stammte schließlich von einem über 60 jährigen Songwriter: Max C. Freedman. Und auch Bill Haley war von seinem Alter und seinem Auftreten her alles andere als zum Aufrührer oder Jugendidol prädestiniert. Auf sich allein gestellt, hätte das Stück wahrscheinlich niemals die Popularität erzielt, die es noch erzielen sollte.
Im Oktober 1955 kam dann aber der Film “Die Saat der Gewalt“ - im Original “The Blackboard Jungle“ - in die deutschen Kinos, und in diesem Film wurde Bill Haleys “Rock around the clock“ als Eingangsmusik verwendet. Damals hatte das Kino eine ähnliche Funktion wie später MTV oder VIVA oder heute youtube: War ein Film ein Erfolg, so war die Filmmusik ein Selbstgänger. Und “Die Saat der Gewalt“ traf den Nerv der damaligen Jugend, sowohl in den USA als auch in Deutschland.
Der Film handelte von aufmüpfigen Schülern in New York, die ihrem Lehrer - gespielt von Glenn Ford - das Leben sauer machten. Kern der Handlung war die Rebellion der Jugend, der Konflikt zwischen jüngerer und älterer Generation, Themen, die in der Luft lagen und auch in anderen Filmen aus den USA verarbeitet wurden, z.B. in Nicholas Rays “Denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean in der Hauptrolle.
Mit dem Film “Die Saat der Gewalt“ schlugen Bill Haley und der Rock’n’Roll voll ein, sie wurden zum Ausdruck des jugendlichen Aufbegehrens gegen die Generation der Eltern und Großeltern. Nachdem die Leute in den Kinos den Film gesehen hatten, zogen sie durch die Straßen, sangen das Lied von Bill Haley und gebärdeten sich wie Gangs. So etwas hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Zum ersten Mal wurde der Gesellschaft klar, dass es Rock’n’Roll gab und dass mit ihm die Jugend zu einer anderen Art des Ausdrucks fand. “Rock around the clock“ galt seither als etwas Revolutionäres, als etwas ganz Neues. Dieses Stück ist auch der erste Rock’n’Roll-Titel, an den ich mich erinnere. Allerdings wurde schon 1954 Bill Haleys “Crazy man, crazy“ - noch als Schellackplatte - gepresst. Aber das hat damals niemand zur Kenntnis genommen.
Es fand damals im Musikgeschäft eine grundlegende Modernisierung statt - von den neuen elektrischen Verstärkern, über die neuen Schallplattenformate, Single und LP bis zu den dazugehörigen Abspielgeräten. Außerdem wurden die alten Beziehungen zwischen amerikanischen und deutschen Plattenfirmen wieder aufgenommen oder über England neue Geschäftsverbindungen angeknüpft. So kamen zunächst vereinzelt Rock’n’Roll-Platten bei uns zwangsläufig auf den Markt.
An der Musik selbst hatten die Manager der Musikindustrie eigentlich kein Interesse, außer dass sie mit ihr Geld machen konnten. Sie waren um die Jahrhundertwende geboren und mit der Oper, deutscher Volksmusik und dem deutschen Schlager aufgewachsen, und das war eigentlich die Musik, die sie verkaufen wollten. Die Plattenindustrie hat den Rock’n’Roll nur deshalb gern verkauft, weil mit ihm schnell Geld zu machen war. Das galt sowohl für Deutschland/Österreich als auch für die USA. Die RCA hat ihre Hauptgewinne mit Elvis gemacht, und auch die deutschen Firmen verdienten gut an ihm. Es ist z.B. nachweisbar, dass die Teldec die Gewinne, die sie mit dem Rock’n’Roll machte, dazu benutzte, um ihre Klassik-Produktionen zu finanzieren, die sehr viel teurer waren und bei denen das Geld auch nicht so schnell wieder hereinkam.
Bezeichnenderweise hatten die Verantwortlichen der Musikindustrie keine Ahnung von Rock’n’Roll, sie konnten ihn nicht vernünftig einordnen. Er passte nicht in die Kategorien, in die sie die Musik einteilten, und so wurde Rock’n’Roll zunächst als ,,eine Art von Jazz“ gehandelt. Nach und nach stellten die Plattenfirmen dann Label-Manager ein, die ihr Geschäft verstanden, die sich mit der Musik beschäftigt hatten und auch auswählen konnten, was gut war und was nicht.
Wenn heute von den 50 er Jahren die Rede ist, so entsteht leicht der Eindruck, Rock’n’Roll sei die Musik der damaligen Zeit gewesen, aber Rock’n’Roll war keine Angelegenheit der Massen. Rock’n’Roll war ein Randphänomen. Die Stars des deutschen Schlagers hießen damals Freddy Quinn, Ernst Mosch mit seinen Egerländer Musikanten, Vico Torriani und Caterina Valente. Die deutsche Filmindustrie hatte gerade den Streifen “Sissi“ mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm produziert. Man propagierte eine heile Welt, die heimatliche Idylle und die Harmonie der Familie. Der Rock’n’Roll aber stand für das Aufbegehren der Jugend, und so sahen ihn auch die Vertreter der älteren Generation, und damit passte er nicht in ihr Weltbild.
Rock’n’Roll wurde auch nicht in deutschen Radiosendern gespielt. Gerd Miller berichtete: „Unsere Musik spielte es im Österreichischen Rundfunk nur jeden Samstag ab 22 Uhr, also nur ein einziges Mal in der Woche für etwa zwei Stunden, heute unvorstellbar.” In norddeutschen Landen war es nicht besser!
Wer diese Musik hören wollte, musste, sofern es die Region oder das Gerät hergab, AFN oder BFBS hören, die Sender der in Deutschland stationierten amerikanischen und britischen Truppen oder Radio Luxemburg.
Rock’n’Roll war die Musik der Jugend, allerdings nicht der Jugend insgesamt. Genau genommen war Rock’n’Roll die Angelegenheit einer ganz erklärten Minderheit. Die Masse der Jugendlichen war angepasst und hörte die Musik ihrer Eltern.
1955 war ich gerade erst 9 Jahre alt und hatte selbst nicht das Geld und die Gelegenheit, mir Platten zu kaufen. Aber ich lernte diese Musik später schon früh durch ältere Freunde kennen. Platten waren ja schwer zu bekommen und für Jugendliche auch nicht billig, aber sie wurden untereinander weitergegeben, so dass neue Titel relativ schnell die Runde machten. In der Schulklasse gab es außer mir vielleicht noch zwei oder drei weitere Schüler, die Rock’n’Roll hörten. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich als „Avantgarde“ verstand, und die anderen hatten mit dieser Musik nichts am Hut.
Es war auch zunächst nicht leicht, die echten Rock’n’Roll-Platten zu bekommen, denn zunächst kamen über die einschlägigen Vertriebswege vielfach Cover-Versionen von Rock’n’Roll-Titeln in die deutschen Plattenläden, insbesondere dann, wenn die Originale von Schwarzen stammten. In den USA wurden Titel, die in den R&B-Charts erfolgreich waren, von weißen Sängern nachgesungen, häufig auch in einer textlich und musikalisch geglätteten Version. Auf diese Weise wurde versucht, die Titel auch für ein weißes Publikum akzeptabel zu machen.
Solche gecoverten Titel waren es also, die zunächst in den deutschen Plattenläden erschienen, die Originale kamen erst Jahre später. Aber schon die geglätteten Cover-Nummern brachten die Eltern so auf, dass sie von "Negermusik" sprachen und sich verbaten, dass in ihrer Wohnung so etwas gehört wurde.
Um den Rock’n’Roll dann in Deutschland salonfähig zu machen, ging man ja noch einen Schritt weiter, indem viele der Texte übersetzt und von deutschen Interpreten gesungen wurden, z.B. von Peter Kraus. Diese Musik war nicht ernst zu nehmen und hatte auch mit Rock’n’Roll nichts zu tun. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Billy zog in seinem Beitrag die für uns sicherlich nicht repräsentative Jugendzeitschrift Bravo hinzu. Mit einer Jahres-Hitparade der Schlagerstars beschäftigte sich diese Postille – meines Wissens – erst im Jahr 1959, als sich der richtige Rock’n’Roll schon wieder verabschiedete.
Die Jahre davor blieben seit 1956 den Filmstars vorbehalten. Ausnahmen waren
1956 Elvis # 20
1957 Elvis # 11
1957 Belafonte # 26
1956 Sinatra # 24
1957 Sinatra # 34
1957 Pat Boone # 40
Natürlich waren die potenziellen Bravo-Leser keine Jack Scott-Fans, den es auch erst seit 1958 auf der Szene gab.
Und wie heißt es so schön: Nun zurück zu Jack Scott
Gruß zum Sonntag
Heino