STAN BRENDERS

Jazz-Urgestein aus Belgien
 
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STAN BRENDERS

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Gepostet: 12.03.2025 - 17:24 Uhr  ·  #1
Hallo,
seit dem 11. März 2017 hat der Jazzer Fud Candrix seinen Platz hier im Rock'n'Roll-Forum, sogar mit einer Wahnsinns-78er-Disco. Das ist nun fast genau 8 Jahre her und ich möchte mir erlauben, einen weiteren belgischen Jazzer hinzuzufügen:

Stan Brenders
Dass die repressiven Kräfte des Nationalsozialismus und die ungehemmte Kreativität des Jazz nebeneinander existierten, schien unmöglich, doch Jazz-Musiker hielten viele Aspekte ihrer Musik während des Zweiten Weltkriegs in Ländern wie Belgien aufrecht. Die daraus resultierenden Auftritte, Aufnahmen und Karrieren erlangten allein durch die Intrigen zusätzliches Interesse.

Stan Brenders stand Ende der 30 er Jahre in Brüssel auf der Bühne und verkündete, dass das nächste Stück “Sept, et avec un combination avec onze“ sein würde – wohl wissend, dass die Nazi-Zensoren den taubenfranzösischen Bezug zum eigentlichen Songtitel “Seven Come Eleven“ nicht nachvollziehen konnten, der wie die meisten Swing-Nummern strengstens aus dem Radio und von Live-Sendungen verbannt worden war.

Die Nazis hatten Jazz selbst verboten, aber da die meisten von ihnen nicht wussten, wie er klingen sollte, waren die Songtitel eine wichtige Identifikationsfigur, so etwas wie ein Davidstern. Brenders, ein Bigband-Leader und Dirigent, gehört zu den Urgesteinen der belgischen Jazz-Geschichte, die irgendwann Ende der 20 er Jahre zu beginnen scheint, als Charles Remue & His New Stompers Orchestra in ein Londoner Aufnahmestudio gingen, um die erste belgische Jazz-Aufnahme aufzunehmen. Pianist der Band war Brenders, der mit anderen belgischen Jazz-Pionieren swingte, wie dem Schlagzeuger Harry Belein, dem Tenorsaxophonisten und Klarinettisten Gaston Frederic und dem Bassisten Remy Glorieux. Obwohl die Gruppe als eine der besten europäischen Jazz-Bands der 20 er Jahre galt, blieb sie unter der Leitung des Klarinettisten und Altsaxophonisten Remue nur etwas weniger als ein Jahr zusammen.

Danach begann Brenders, sich darauf zu konzentrieren, seine eigene Gruppe zu leiten. Mitte der 30 er Jahre dirigierte er das Belgische Staatsorchester des Rundfunks, auch bekannt als l'Orchestre Jazz de l'INR. Mit Fortschreiten des Krieges wurden Ablenkungsmanöver immer notwendiger, um zu verhindern, dass der Jazz unangemessene Aufmerksamkeit erregte. Dazu gehörte auch die bereits beschriebene Verschleierung amerikanischer Songtitel, um die Nazi-Zensur zu umgehen.

Einer der größten Siege des Jazz gegen die Faschisten errang der Jazz im Frühjahr 1942, als die Brenders-Band den Zigeunergitarristen Django Reinhardt in Belgien bei acht Auftritten begleitete. Alle diese Auftritte waren streng im Guerillastil organisiert und missachteten damit offen das Nazi-Edikt gegen Swingmusik.

Doch mit der Niederlage der Hakenkreuz-Anhänger verlor Brenders' Musik zunehmend ihren Swing, und immer schmalzigere Streicher kamen zum Einsatz. Während Jazz-Hörer wahrscheinlich im vorderen Gang jeder Django Reinhardt-Sammlung auf Brenders und sein Orchester stoßen, finden sich andere Beispiele des Brenders-Sounds auf Kompilationen europäischer Tanzbands.

(* 31. Mai 1904 in Brüssel; + 01. Juni 1969 ebenda) war ein belgischer Pianist, Komponist, Arrangeur und Bigband-Leiter im Bereich des Swing und der Tanzmusik. Der Pianist und Bandleader Stan Brenders zählt zu den Pionieren des belgischen Jazz. Bereits während des Klavierstudiums am Königlichen Konservatorium in Brüssel wurde er mit Preisen ausgezeichnet. Schon früh war er vom New Orleans Jazz beeinflusst. Zu dieser Zeit enthielt er den Klavierpart im Orchester von Fud Candrix.

1927, im Alter von 23 Jahren, gehörte er der Formation Charles Remue and his New Stompers an, die dadurch bekannt wurden, im Juni 1927 die erste Jazz-Schallplatte belgischer Musiker im Stile der New Orleans Rhythm Kings aufgenommen zu haben. Sie entstand in den Londoner Edison Bell Studios.

Brenders versuchte sich mit einer eigenen Band im Savoy in Brüssel; 1933 spielte er als erster Pianist im Rundfunk-Sinfonie-Orchester Brüssel unter der Leitung von Franz André und als Ende 1935 das Jazz-Sinfonie-Orchester des Radio Brüssels gegründet wurde, trug man Stan Brenders seit Januar 1936 die Leitung des L'Orchestre Jazz de l'INR an.

Abends, für die Sendung “Eine halbe Stunde für den Jazzliebhaber“, stehen eine Auswahl der internationalen Erfolge von Count Basie, Benny Carter, Jimmie Lunceford aus dem im Laufe der Jahre 1500 Titel umfassenden Repertoire auf dem Programm.

Erste Plattenaufnahmen erfolgten 1938 in Brüssel für His Master’s Voice (“Big Chief ‘Swing It‘“). So wurde das Brenders-Orchester rhythmisch sogar mit dem Count Basie Orchestra verglichen. 1939 kam es zu einem internationalen Jazz-Band-Wettbewerb mit den niederländischen Ramblers von Theo Uden Masman, den allerdings die Ramblers gewannen.

Bis zur Besatzung Belgiens durch deutsche Truppen während des Zweiten Weltkrieges spielte das große Tanzorchester Stan Brenders fast ausschließlich US-amerikanische Nummern, ergänzt mit Eigenkompositionen der Solisten oder von Brenders selbst. Doch 1940 wurde die Musik Brenders’ als „jüdische Negermusik“ diffamiert. So musste er am Rundfunk flämische Weisen interpretieren und sollte sich mit deutscher Operette befassen. Während des Zweiten Weltkriegs stand Brenders’ Orchester in dem Ruf, das modernste Tanzorchester Europas zu sein: Er nahm etliche Swing-Titel auf, aber auch sinfonische Bearbeitungen für diverse Labels wie Olympia, Rhythme und Brunswick.

Stan Brenders gelang es, Ende 1940 mit deutschen Schlagern in modernem Arrangement erste Aufnahmen für die Berliner Telefunken-Schallplatte zu machen. Er spielte einige Stücke ein, wie “Faszination“, “Ja und Nein“, “Wenn man denkt, es ist soweit“ oder 1941 “There’ll Be Some Changes Made“.

Benders konnte auch zwei amerikanische Titel aufnehmen, “Well All Right“ und “And The Angels Sing“, die im Frühjahr 1941 für Exportzwecke veröffentlicht wurden. Im nationalsozialistischen Deutschland war diese Schallplatte nur auf Bestellung und ohne vorherige Hörprobe zu kaufen. Noch waren die USA nicht im Krieg gegen Deutschland, somit handelte es sich noch nicht um „feindstaatliche Musik“.

Seine Komposition “I Envy“ wurde ein Welterfolg, als Nat King Cole das Lied aufnahm. Ähnlich wie seine deutschen Kollegen erfand er Fantasietitel verbotener Stücke und nahm sie teilweise sogar auf Schallplatte auf, so etwa im Mai 1942 “Bal du Rythme“ mit dem französischen Klarinettisten Hubert Rostaing. Ihm gelang es, verschiedene Swing-Stücke durch die Zensur der nationalsozialistischen Besatzungsmacht zu mogeln, u.a. mit den Zensoren verwirrenden Ansagen wie “Sept, et avec un combination avec onze“ für den wirklichen Song “Seven Come Eleven“, der durch die amerikanischen Orchester von Benny Goodman, Teddy Wilson oder Red Norvo bekannt war.

Am 08. Mai 1942 begleitete er mit seiner Band den Gitarristen Django Reinhardt für das belgische Label Rhythme bei acht Stücken, teilweise mit Streicherbegleitung (“Dynamisme“, “Django Rag“).

Die Mai-Session fand mit dem Stan Brenders Orchestra statt und beinhaltete neue Arrangements von Djangos zwei berühmtesten Kompositionen. Sein “Django Rag“ basiert auf “Tiger Rag“, und “Divine Beguine“ ist natürlich lediglich eine Neubetitelung eines der Top-Hits der Kriegsjahre: “Begin the Beguine“. Die Formation mit einer großen Orchesterbesetzung umfasste auch eine fünfköpfige Streichersektion.

08. Mai 1942, Sobedi Studios in Brüssel, Django Reinhardt - Stan Brenders et son Grand Orchestre:
Paul d’Hondt, George Clais, Raymond Chantrain - tp; Jean Damm, Sus Van Camp - tb; Louis Billen, Jo Magis - cl, as; Jeff van Herswingels - ts; Arthur Saguet - cl, ts, bari; Jack Demany - ts, vln; Jean Douillez, Walter Féron, Emile Deltour, Chas Dolne - vln; John Ouwerx - pf; Django Reinhardt - g; Jim Vanderjeught - g; Arthur Peeters - bs; Josse Aerts - dr; Stan Brenders - cnd
543 Divine Beguine 16218
544 Nuages 16219
545 Djangology 16220
546 Eclats De Cuivres 16221
547 Django Rag 16222
548 Dynamisme 16223
549 Tons D’ébène 16224
550 Chez Moi Six Heures 16225

Ansonsten spielte er mit seinem Orchester Tanzmusik. Die letzte Plattensitzung von Stan Brenders erfolgte im Dezember 1943 in Brüssel für Rhythmus. Als großes Belgisches Jazz-Sinfonie-Orchester nahm das verstärkte Orchester in schneller klassischer Besetzung mit zwölf Geigen, drei Bratschen, vier Celli, zwei Bässen, Oboe und Harfen eine Reihe von Stücken auf, die neben Eigenkompositionen auch eine sinfonische Bearbeitung des Hoagy Carmichael-Klassikers “Stardust“ umfasste; als “Poussière d'étoile“ mit unverfänglichem französischen Titel versehen, konnte die Platte die Zensur der deutschen Besatzer passieren.

Nach Kriegsende wurde er wegen Kollaboration mit der Besatzungsmacht angeklagt, wodurch er seine Arbeitsmöglichkeit als Bandleader beim Sender INR verlor. In den Nachkriegsjahren hatte er nur selten Gelegenheit, mit größeren Bands zu arbeiten. Nach 1953 trat er – schon gesundheitlich angeschlagen – als Pianist in seiner Brüsseler Bar L'Archiduc auf.

1. Orchester-Abb. (s/w) = Charles Remue & His New Stompers Orchestra

Gruß
Heino
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