CD-Zerfall bedroht Kulturerbe

 
Benutzer
Avatar
Geschlecht: keine Angabe
Herkunft: Bremen
Homepage: kultur-buch.de
Beiträge: 1815
Dabei seit: 04 / 2010
Betreff:

CD-Zerfall bedroht Kulturerbe

 · 
Gepostet: 21.04.2012 - 11:34 Uhr  ·  #1
Moin moin,

hier kommt Wasser auf die Mühlen von Vinyl-Sammlern:

Deutsches Musikarchiv: CD-Zerfall bedroht Kulturerbe

Das Deutsche Musikarchiv fürchtet um seinen CD-Bestand. Der viel gepriesene Tonträger zerfällt langsam, aber sicher. Die Versprechungen der Industrie Anfang der 80er-Jahre, mit der CD ein Speichermedium für die Ewigkeit gefunden zu haben, entpuppten sich als Ente. "Selbst bei perfekten Lagerbedingungen kann man den langsamen Zersetzungsprozess einer CD nicht aufhalten", klagt der Leiter des Archivs, Ingo Kolasa.

Das Archiv beherbergt hierzulande die umfassendste Musiksammlung: Seit 1983 wird von jeder Audio-CD, die in Deutschland verlegt wird, ein Exemplar in dem Musik-Archiv in Berlin abgelegt. Mittlerweile lagern dort über 373.000 CDs. Bereits bei rund 200 CDs, die in den ersten drei Jahren der Archivierung eingegangen sind, zeigt ein Messgerät Zersetzungserscheinungen. Er habe schon damals Zweifel an den Versprechungen der Industrie gehegt, sagt Kolasa. "Die CD war der erste Tonträger, der aus einem Material-Mix bestand. Die konnten zu dieser Zeit noch gar nicht wissen, wie diese Stoffe miteinander reagieren."

Vor allem die Lacke, die früher für den Label-Aufdruck verwendet wurden, entpuppen sich heute als Killer jeder CD. Sie fressen sich durch die einzelnen Schichten und beeinträchtigen die Reflexionsfähigkeit der CD. Ergebnis: Sie ist nicht mehr zu lesen. Aber auch infolge regelmäßiger Nutzung erleidet eine CD unwiderrufliche Schäden. Schon durch leichtes Biegen entstehen in ihrem Schutzlack Haarrisse, durch die Feuchtigkeit eindringen und die Schutzschicht so zerstört werden kann. Ist der Tonträger zu lange dem Sonnenlicht oder zu großer Kälte ausgesetzt, werden ebenfalls Zersetzungsprozesse in Gang gesetzt. Kolasas Fazit: Die CD ist viel zu sensibel, um ewig halten zu können.

"Unter idealen Lagerungsbedingungen gebe ich einer CD 50 bis 80 Jahre Lebensdauer", sagt der Leiter des Lehrgebietes Multimedia und Internetanwendungen der Fernuniversität Hagen, Matthias Hemmje. Eine "Lagerung unter idealen Bedingungen" hieße jedoch, dass die CDs nicht angefasst und staub- sowie lichtgeschützt in klimatisierten Räumen aufbewahrt werden müssten, deren Temperatur 18 Grad Celsius nicht übersteigt. An das Abspielen der CD unter solchen Bedingungen sei kaum mehr zu denken.

Noch kurzlebiger sind selbst gebrannte CDs, wie sie in Privathaushalten zu Hunderttausenden im Einsatz sind, um Fotoalben, Musik oder Videos zu sichern. Laut Hemmje können diese unter Umständen schon nach einem Jahr nicht mehr lesbar sein. Der Dozent empfiehlt deshalb, die Daten auf externe Festplatten zu speichern.

Über das Abspeichern ihres CD-Bestands auf externen Festplatten hat das Musikarchiv bereits nachgedacht. Deshalb wurde im vergangenen Jahr ein Probelauf gestartet, bei dem eine Firma die Daten aller 20.000 CDs, die 2006 veröffentlicht wurden, auf einen Massenspeicher kopierte. Das lief gut. Aber es handelte sich auch "nur" um den CD-Bestand eines Jahres. Doch was wird mit den CDs, die vor 2006 erschienen? Darauf weiß auch Kolasa keine Antwort. Geht man davon aus, dass jede CD rund 700 Megabyte Daten speichert, sind bei Kolasa 261 Millionen Megabyte archiviert. Das sind rund 249 Terabyte – auf das Musikarchiv käme so ein hoher und kostpspieliger technischer Aufwand zu. Zudem sind Festplatten natürlich beileibe kein Garant für ewige Archivierung, Sicherungs- und Backupsysteme müssten ebenfalls vorgesehen werden.

Weil das Problem nicht nur das Musikarchiv in Berlin, sondern alle Bibliotheken und Archive weltweit betrifft, forscht Hemmje mit einigen Kollegen seit 2006 im Auftrag der EU, wie sich Dateien so sichern lassen, dass sie auch in 100 Jahren noch zu lesen sind – sowohl was Haltbarkeit als auch die Kompatibilität der Daten angeht. Sonst könnte es sein, dass in 100 Jahren niemand mehr Beethoven oder Mozart kennt – weil niemand mehr ihre Musik hören kann. So sehr Kolasa ein Speichermedium, das ewig hält, begrüßen würde, wäre es für ihn doch nur ein "Mittel, eine schlechte Kopie festzuhalten". Sein Sammlerherz würde viel lieber die Original-CD erhalten. Doch von diesem Traum muss er sich langsam verabschieden und wird nostalgisch: "Ach wäre man doch bei der guten alten Schellack- oder Vinyl-Platte geblieben."

Th.
Benutzer
Avatar
Geschlecht: keine Angabe
Herkunft: Berlin
Beiträge: 51195
Dabei seit: 10 / 2008
Betreff:

Re: CD-Zerfall bedroht Kulturerbe

 · 
Gepostet: 21.04.2012 - 12:06 Uhr  ·  #2
Hallo,

am schnellsten killt man seine selbstgebrannten CDs, wenn man ein Label drauf macht.
Fazit nach gewisser Zeit: schönes Bildchen aber keine Musik mehr 😢

Gruss Billy
Benutzer
Avatar
Geschlecht: keine Angabe
Herkunft: Hannover
Beiträge: 10388
Dabei seit: 09 / 2006
Betreff:

Re: CD-Zerfall bedroht Kulturerbe

 · 
Gepostet: 21.04.2012 - 22:21 Uhr  ·  #3
Hallo Thorsten,

interesssanter und für CD-Sammler niederschmettender Bericht.

Eine Ergänzung: das Archiv in Berlin (in der ehemaligen Siemens-Villa) wurde aus bautechnischen Zwängen aufgelöst und (soweit ich mich erinnere) seit Ende 2010 nach Leipzig und Frankfurt verlegt.

Gruß
Dietrich
Gewählte Zitate für Mehrfachzitierung:   0

Registrierte in diesem Topic

Aktuell kein registrierter in diesem Bereich

Die Statistik zeigt, wer in den letzten 5 Minuten online war. Erneuerung alle 90 Sekunden.