Liebe Rockabilly-Gemeinde,
ich verfolge die Diskussion mit Spannung, werde aber auf Eurer Spur wenig erhellendes beitragen können, da ich mich in Sachen Rockabilly zu wenig auskenne und daher keine Raritäten im Regal habe, auf denen ich jetzt noch was seltenes und nicht allgemein bekanntes entdecken könnte.
Ich kann bestenfalls eine andere Perspektive auf die Fragestellung bieten. Dabei verhehle ich den studierten Kulturwissenschaftler nicht, denn es gibt natürlich für diese Fragestellung auch eine wissenschaftliche Theorie...
Die bisherigen Argumente - die mich allesamt überzeugt haben - sind musikhistorischer Art. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive hingegen betrachtet bei dieser Fragestellung die Wirkungsgeschichte. Wie, wann und von wem wurde Rockabilly als neues, eigenständiges, sich vom bisherigen unterscheidendes musikalisches Genre wahrgenommen?
Von einer kulturellen Mode (und eine musikalische Stilrichtung ist nichts anderes) würde ein Kulturwissenschaftler erst dann sprechen, wenn es ein Publikum gibt, dass zeitgleich diese Mode wahrnimmt, annimmt und sich zu eigen macht. Das Publikum wäre in diesem Falle eine Koalition aus Plattenkäufern, Radiohörern, Radiosendern und Zeitungen gewesen.
Worin besteht der Unterschied zwischen musikwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Betrachtungen?
Dazu ein Beispiel: Die Frage "gab es einen deutschen Rock´n´Roll?" würde ich musikwissenschaftlich mit einem klaren Nein beantworten, weil das große unvermeidliche Electrola/Polydor/Telefunken-Symphonieorchester jeden Sound von Eddie Cochran, Carl Perkins, Gene Vincent oder Little Richard weich gespült hat, egal welcher Peter, Ted, Ralf oder Paul sich dazu die Seele aus dem Leib geschluchzt hat. Mit Anzug und Krawatte wird das nie und nimmer Rock´n´Roll. D´accord?
Kulturwissenschaftlich würde ich dieselbe Frage mit einem ganz klaren Ja beantworten, weil es eine ganze Generation von Teenagern gab, die das, was ihnen die deutschen Plattenfirmen als RnR angedreht haben, auch für RnR gehalten haben, weil sie den "authenthischen" RnR gar nicht kennen konnten (mit Ausnahme eines kleinen gallischen Dorfes inmitten von Vienna...). Auch D´accord ?
Meine Antwort auf die Eingangsfrage wird euch nun nicht mehr verblüffen. Aus meiner Sicht ist die Geburtsstunde des Rockabilly mit der ersten Erwähnung in einem Massenmedium (in diesem Falle: Billboard) zu terminieren, vorausgesetzt, dieser Begriff hat sich dadurch auch in der nachfolgenden Berichterstattung etabliert.
Bei allen Songs, die davor in Rillen gepresst wurden, hat man nachträglich festgestellt, dass sie wie Rockabilly klingen, sie konnten aber zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme gar kein Rockabilly sein und auch kein Rockabilly sein wollen, weil es dieses Genre noch gar nicht gab.
Der Sammlerehrgeiz, nach den „Ersten“ zu forschen, bleibt dadurch ja unbenommen.
Und es wird ihn irgendwo geben, den „Ersten“, der vor langer Zeit irgendwo im tiefsten Mississippi-Delta bei untergehender Sonne auf seiner Veranda gesessen hat und leicht genervt auf seiner Gitarre herumklimperte, weil sein Nachbar den ganzen Nachmittag über beim Heckenschneiden rockebillirockebilli vor sich hingemurmelt hat, und während sein Bruder nervös auf einer Zigarrenkiste herumtrommelt, macht er aus diesen Silben, in denen er keinerlei Sinn erkennen kann, einen Song, um diesen Tag nicht völlig nutzlos an sich vorüberstreifen zu lassen. Und natürlich hat er keinerlei Gedanken a la „ein kleiner Akkord für mich, aber ein großer Akkord für die Musikgeschichte“ und er hat auch keinerlei Chance auf einen Hit – weil er seiner Zeit um Monate oder gar Jahre voraus ist. Und fällt jetzt heute aus allen Wolken und freut sich hoffentlich wie ein Schneekönig, dass er als der „Erste“ gewürdigt wird.
Und das ist doch auch etwas Schönes.
Th.
ich verfolge die Diskussion mit Spannung, werde aber auf Eurer Spur wenig erhellendes beitragen können, da ich mich in Sachen Rockabilly zu wenig auskenne und daher keine Raritäten im Regal habe, auf denen ich jetzt noch was seltenes und nicht allgemein bekanntes entdecken könnte.
Ich kann bestenfalls eine andere Perspektive auf die Fragestellung bieten. Dabei verhehle ich den studierten Kulturwissenschaftler nicht, denn es gibt natürlich für diese Fragestellung auch eine wissenschaftliche Theorie...
Die bisherigen Argumente - die mich allesamt überzeugt haben - sind musikhistorischer Art. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive hingegen betrachtet bei dieser Fragestellung die Wirkungsgeschichte. Wie, wann und von wem wurde Rockabilly als neues, eigenständiges, sich vom bisherigen unterscheidendes musikalisches Genre wahrgenommen?
Von einer kulturellen Mode (und eine musikalische Stilrichtung ist nichts anderes) würde ein Kulturwissenschaftler erst dann sprechen, wenn es ein Publikum gibt, dass zeitgleich diese Mode wahrnimmt, annimmt und sich zu eigen macht. Das Publikum wäre in diesem Falle eine Koalition aus Plattenkäufern, Radiohörern, Radiosendern und Zeitungen gewesen.
Worin besteht der Unterschied zwischen musikwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Betrachtungen?
Dazu ein Beispiel: Die Frage "gab es einen deutschen Rock´n´Roll?" würde ich musikwissenschaftlich mit einem klaren Nein beantworten, weil das große unvermeidliche Electrola/Polydor/Telefunken-Symphonieorchester jeden Sound von Eddie Cochran, Carl Perkins, Gene Vincent oder Little Richard weich gespült hat, egal welcher Peter, Ted, Ralf oder Paul sich dazu die Seele aus dem Leib geschluchzt hat. Mit Anzug und Krawatte wird das nie und nimmer Rock´n´Roll. D´accord?
Kulturwissenschaftlich würde ich dieselbe Frage mit einem ganz klaren Ja beantworten, weil es eine ganze Generation von Teenagern gab, die das, was ihnen die deutschen Plattenfirmen als RnR angedreht haben, auch für RnR gehalten haben, weil sie den "authenthischen" RnR gar nicht kennen konnten (mit Ausnahme eines kleinen gallischen Dorfes inmitten von Vienna...). Auch D´accord ?
Meine Antwort auf die Eingangsfrage wird euch nun nicht mehr verblüffen. Aus meiner Sicht ist die Geburtsstunde des Rockabilly mit der ersten Erwähnung in einem Massenmedium (in diesem Falle: Billboard) zu terminieren, vorausgesetzt, dieser Begriff hat sich dadurch auch in der nachfolgenden Berichterstattung etabliert.
Bei allen Songs, die davor in Rillen gepresst wurden, hat man nachträglich festgestellt, dass sie wie Rockabilly klingen, sie konnten aber zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme gar kein Rockabilly sein und auch kein Rockabilly sein wollen, weil es dieses Genre noch gar nicht gab.
Der Sammlerehrgeiz, nach den „Ersten“ zu forschen, bleibt dadurch ja unbenommen.
Und es wird ihn irgendwo geben, den „Ersten“, der vor langer Zeit irgendwo im tiefsten Mississippi-Delta bei untergehender Sonne auf seiner Veranda gesessen hat und leicht genervt auf seiner Gitarre herumklimperte, weil sein Nachbar den ganzen Nachmittag über beim Heckenschneiden rockebillirockebilli vor sich hingemurmelt hat, und während sein Bruder nervös auf einer Zigarrenkiste herumtrommelt, macht er aus diesen Silben, in denen er keinerlei Sinn erkennen kann, einen Song, um diesen Tag nicht völlig nutzlos an sich vorüberstreifen zu lassen. Und natürlich hat er keinerlei Gedanken a la „ein kleiner Akkord für mich, aber ein großer Akkord für die Musikgeschichte“ und er hat auch keinerlei Chance auf einen Hit – weil er seiner Zeit um Monate oder gar Jahre voraus ist. Und fällt jetzt heute aus allen Wolken und freut sich hoffentlich wie ein Schneekönig, dass er als der „Erste“ gewürdigt wird.
Und das ist doch auch etwas Schönes.
Th.